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Auszug aus TERRE DES HOMMES (Wind Sand und Sterne)

von Antoine de Saint-Exupéry (1939)

 

"Zweihundert Millionen Menschen in Europa haben keinen Sinn in ihrem Leben und wollen geboren werden. Die Industrie hat sie der bäuerlichen Sippe entzogen und sie in riesige Ghettos gebannt, die aussehen wie lange Zeilen rußiger Bahnwagen auf den Geleisen eines Verschiebebahnhofes. Aus diesen Arbeiterstädten wollen sie erweckt werden. Es gibt allzuviele, die in das Räderwerk der Berufe geschmiedet sind, denen alle Freuden des Bahnbrechers, des Gläubigen, des Wissenden versagt sind. Man meinte, es genüge, sie zu bekleiden, zu nähren und sonstige Bedürfnisse zu befriedigen, um sie groß zu machen. Man hat auf diese Weise nur den kleinen Spießer, den Kannegießer und den Maschinenmenschen großgezogen. Man bildet sie aus, statt sie zu unterrichten. Eine armselige Auffasssung von Kultur greift um sich, die im Formelgedächtnis das Höchste sieht. Ein mäßiger Schüler der Maschinenbauschule weiß mehr von der Natur und ihren Gesetzen als seinerzeit Descartes und Pascal wußten. Ist er aber des geistigen Aufschwunges dieser Großen fähig?

 Wir fühlen alle mehr oder minder deutlich eine Sehnsucht nach der wirklichen Geburt. Aber uns allen drohen trügerische Lösungen. Man kann die Menschen ja auch aufwecken, indem man sie in Uniformen steckt. Dann singen sie ihre Kampflieder und teilen ihr Brot als Kameraden miteinander. Dann erfüllt sich ihr Suchen, und sie wähnen, das große Einheitsleben zu kosten allgültig und allverbunden. Aber an dem Brote, das man ihnen bietet, müssen sie sterben... Man kann Götzen von einst ausgraben und alte wirksame Mythen beleben, die Zauberlehren des Alldeutschtums oder des Heiligen Römischen Reiches. Man kann die Deutschen trunken machen mit dem Stolz, Volksgenossen Beethovens zu sein. Bis zum Straßenkehrer kann man sie berauschen, und das ist leichter, als aus einem Straßenkehrer einen Beethoven zu machen.

 Aber das sind fleischfressende Götter. Wer für die Fortschritte von Forschung und Seuchenbekämpfung stirbt, dient dem Leben. Vielleicht war es früher auch einmal schön, für die Erweiterung eines Landes zu sterben. Es ist heute nicht mehr damit getan, einiges Blut zu opfern, um die Rasse im Ganzen wieder aufzufrischen. Seitdem der Krieg mit Flugzeugen und Kampfstoffen geführt wird, ist aus dem Aderlaß eine Amputation geworden. Jeder Gegner hockt hinter seinen Betonmauern, jeder schleudert, weil er nichts besseres vermag, Nacht für Nacht seine Flugzeuggeschwader hinüber, die den anderen ins Eingeweide treffen, seine lebenswichtigen Zentren mit Bomben belegen, seine Produktionsstätten und seine Verkehrswege lähmen. Derjenige, der als letzter zugrunde geht, ist der Sieger. Aber schließlich verkommen sie alle beide.

 In einer Welt, die öde geworden war, sehnten wir uns nach Kameradschaft. Das wunderbare Erlebnis, mit Kameraden das Brot zu teilen, hat uns dazu geführt, eine soldatische Weltanschauung anzunehmen. Aber der Krieg ist dazu nicht nötig. Auch ohne ihn kann man die Empfindung von Schultern in naher Fühlung genießen, die dem gleichen Ziele zustreben. Der Krieg betrügt uns: denn der Haß erhöht das Hochgefühl des Kampfes nicht.

 Wozu Haß? Wir sind alle Schicksalsgefährten, vom gleichen Stern durch den Raum getragen. Wir sind die Mannschaft eines Schiffes. Und wenn die Gegensätze der Kulturen wertvoll sind, weil sie immer neue Mischungen erlauben, so ist es ungeheuerlich, daß sie einander vernichten.

 Zu unserer Befreiung genügt es, daß man uns dazu verhilft, ein Ziel zu erkennen, das uns mit anderen Menschen verbindet. Da können wir ebensogut ein Ziel suchen, das uns alle vereint. Dem Arzt fällt es bei seinem Rundgang nicht ein, die Klagen eines Kranken anzuhören; er untersucht ihn und heilt den Menschen in ihm. Darum spricht der Arzt eine allgültige Sprache. Dasselbe tut der Physiker, wenn er seine fast übersinnlichen Gleichungen aufbaut, in denen er zugleich Atome und Weltnebel erfaßt. So geht das weiter bis zum einfachen Hirten. Wer noch so bescheiden einige Schafe unter dem nächtlichen Sternenhimmel hütet, wird merken, daß er mehr ist als ein Diener. Wenn er sich seiner Rolle bewußt wird, kann er sich nur noch als Schildwache fühlen. Und jede Wache ist verantwortlich für das Heil des ganzen Reiches."

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