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Copyright: Dr.. Manfred E.Reinhardt
Gedenkrede aus Anlaß der Otto Lilienthal-Gedächtnisfeier am 9.8.1998 am Fliegerdenkmal auf der Wasserkuppe gehalten von Dr.Manfred E.Reinhardt
Sehr geehrte Gäste, liebe Freunde des Segelfluges Jährlich im August kommen wir zusammen, um des großen Flugpioniers Otto Lilienthal hier am Fliegerdenkmal zu gedenken und ihm Referenz zu erweisen. Letzteres will ich heute versuchen, wenn auch nicht in direkter Verbindung zu seiner Person und dem Verfolgen seiner Ideen, seiner Konstruktionen und seiner Flüge, so doch mehr im Blick auf die Initialzündung, die von ihm und seinem Wirken ausging und im Blick auf deren Folgen. In Ergänzung zu den Festrednern früherer Jahre möchte ich es von einem etwas anderen Blickpunkt aus versuchen, nicht von der Technik, nicht von der Fliegekunst an sich, sondern von dem Medium aus, der Atmosphäre, die in den nach ihm folgenden Jahren und Jahrzehnten in spannenden Schritten erschlossen wurde. Als ich 1938 mit 11 Jahren zum ersten Mal hier auf der Wasserkuppe war und in der Nähe der Startbahn einer gerade startenden Me 108 nachschaute, die kurz nach dem Start in eine Rolle überging und dann in einem Abschwung im Tal verschwand, da hatte ich außer einer großen Begeisterung für alles Fliegende noch nichts mit dem Segelflug zu tun. Ich hatte auch keine Ahnung, daß der am Start zurückgebliebene Mann in Lederjacke und Schlapphut und eine Pfeife rauchend Oskar Ursinus, der gute Geist der Wasserkuppe war, der seinem Freund Ernst Udet beim Abflug zuschaute. Erst knapp 20 Jahre zuvor, also zu Beginn der 20-er Jahre, hatten die Wasserkuppenaktivitäten durch die Darmstädter Studenten begonnen, wiederum ca.20 Jahre davor hat Lilienthal seine ersten Flüge durchgeführt und seine Forschungen in der berühmten Schrift "Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst" niedergelegt. Noch heute ist es beispielhaft, mit welcher Logik, Akribie und Konsequenz er dem Problem zu Leibe rückte, ein Gerät zu schaffen, das ihm erlauben würde, wie ein Vogel zu fliegen. Drei Voraussetzungen zur Erfüllung dieser Idee sind notwendig: der Mensch, die Maschine und das Luftmeer als Medium, in dem sich die Maschine, gelenkt durch den Menschen bewegen soll. In diesem Dreieck der drei M's, wie wir es nennen,gilt es,alle drei so optimal als irgend möglich aufeinander abzustimmen. Der Mensch, z.B. Lilienthal, war da, die Maschine war herzustellen und erst dann konnte man darandenken,in das Medium, die freie Atmosphäre, einzudringen. Als es die Maschine, zunächst den Gleiter, gab und dann Schritt für Schritt der Segler, das Segelflugzeug, folgte, da verschob sich der Schwerpunkt des Dreiklangs Mensch, Maschine, Medium, hin zum Medium, nämlich zur eigentliche Erkundung, Erforschung und Eroberung der dritten Dimension, der Atmosphäre. Das dritte "M" für das "Medium" wurde zur "Meteorologie"! Das war, die eigentliche Geburtsstunde der Flugmeteorologie!. Keine anderer Sport muß ja in ähnlicher Art seine zweidimensionale Bindung zur Boden- oder Wasseroberfläche verlassen und in die dritte Dimension gehen wie der Segelflug. Daher war es wichtig, dort in dieser 3 Dimension als dem neuen zeitweiligen Aufenthaltsort und Bewegungsraum des Menschen die Vorgänge zu erkunden, das physikalische Verhalten der Atmosphäre zu studieren, die Strukturen und die Dynamik darin kennenzulernen und die gegebenen Grenzen sowohl beim Menschen, wie auch am Segelflugzeug bei den zu erwartenden Wettersituationen auszuloten. Vornehmlich in den gemäßigten Breiten hat die Atmosphäre ja seit eh und je Überraschungen und Gefahren bereit mit Fronten, Gewittern, Niederschlag, Nebel, Vereisung und anderes mehr. Der Weg von den ersten Sprüngen Lilienthals zu den heutigen Bestleistungen im Segelflug war und ist noch heute ein ständiges Wechselspiel zwischen den drei "M's", nämlich dem Menschen mit seinem Streben nach immer größeren Leistungen, der technischen Verbesserung der Segelflugzeuge als dem Werkzeug dazu und der optimalen Nutzung der meteorologischen Gegebenheiten. Waren die Gleitflugstrecken Lilienthals noch in Metern zu messen, so liegen die heutigen Bestleistungen bei folgenden Werten : - Für den freien Streckenflug in gerader Linie 1460 km, - für den Zielrückkehrflug 1646 km, - für den Flug mit 3 Wendepunkten 2049 km, - für die Geschwindigkeit 100 km Dreieck 217 km/h, - für die Geschwindigkeit 1000 km Dreieck 169 km/h, - für die Absoluthöhe 14.938 m NN. Ermöglicht hat diese Entwicklung u.a. eine im Sport einmalige Kopplung von Sport und Wissenschaft in Form der "Rhön-Rossitten-Gesellschaft (RRG)" als nationaler Forschungs-einrichtung (1924-1934), später überführt in die "Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug (DFS)" (1934-1945), sowie einer internationalen Forschungsorganisation, der "Internationalen Studiengesellschaft für den motorlosen Flug", der sog.ISTUS, gegründet 1930 in Darmstadt durch 9 verschiedene Nationen mit Prof.Dr.Walter Georgii als dem ersten Präsidenten, weitergeführt nach dem Krieg als "Organisation Scientifique et Technique Internationale du Vol à Voile (OSTIV)" (1948 bis heute). Dies geschah u.a. aus der Einsicht heraus, daß damals die meteorologische Wissenschaft erkannt hatte, welches ideale Forschungswerkzeug ihr mit dem Segelflugzeug in die Hand gegeben wurde. Sowohl die Sondierung der vertikalen Strukturen von Hangaufwind , Thermik und Wellen, als auch die horizontale Abtastung dieser Felder waren jetzt möglich, eine Information, die andere Geräte wie Radiosonden, Ballone und Drachen zu leisten nicht imstande waren. So wurden nach und nach die natürlichen Energiequellen der Atmosphäre für und mit dem Segelflug erschlossen, nämlich Hangwind, Thermik, Hinderniswellen und thermische Wellen, ihre örtlichen und zeitlichen Vorkommen wurden statistisch erfaßt und sind zum großen Teil heute in die Analysen- und Vorhersage der Computermodellen eingebaut. Nicht nur der Sport profitierte von dieser Entwicklung, nein, ganz wichtige Erkenntnisse, die die Sicherheit der Luftfahrt allgemein betrafen, sind durch den Segelflug gewonnen worden : Gerade hier auf der Wasserkuppe während des Rhönwettbewerbes 1938 war erkannt worden, welche ungeheuren Energien sich in Gewittern entwickeln können mit Vertikalgeschwindigkeiten von 30m/s und mehr, mit Turbulenzvorgängen, die die Sicherheitsfaktoren für die Festigkeit der Flugzeugkonstruktionen weit übertrafen, mit lokalen und regionalen Ausdehnungen, die nicht nur wie die Struktur eines einzelnen Wärmegewitters waren, sondern ein Multizellensystem hochreichender Einzelgewittern mit großer Gesamtausdehnung bildete. Auf alle diese Erfahrungen reagierte natürlich das Dreiersystem Mensch, Maschine, Meteorologie entsprechend. Der Mensch gewann Erfahrung und Übersicht, die Segelflugzeuge wurden ständig verbessert in Festigkeit und Leistung und die Meteorologie profitierte von den neuen Erkenntnissen für ihre Arbeit in Forschung, Analyse und Vorhersage. Ein weiteres Beispiel eines wichtigen Beitrags zur Sicherheit der Luftfahrt ist die Erforschung der atmosphärischen Wellen. Die ersten Wellenflüge im Riesengebirge, der erste Flug 1941 in die Stratosphäre von Ainring in Oberbayern aus, wo zu dieser Zeit die Deutsche Forschungsanstalt für Segelflug beheimatet war, die Forschungsflüge der Projekte "Mountain Wave" (Gebirgswellen) und "Jet Stream" (Strahlstrom) in der Sierra Nevada in USA in den Jahren 1952 bis 1955 unter der Leitung von Dr.Joachim Kuettner schufen die Voraussetzungen für mehr Sicherheit in der Zivilluftfahrt. Nachdem sich der Luftverkehr durch Verbesserung der Triebwerke und dem Übergang in das Düsenzeitalter mehr und mehr in die Zone der oberen Troposphäre und der unteren Stratosphäre verlagerte, also in die Höhenbereiche zwischen 8000 und 12 000 m wurden die meteorologischen Gefahren dieser Zone besonders auch für die Verkehrsflugzeuge aktuell. So wurde durch Segelflugzeuge in brechenden Wellen und Rotoren eine bis zu 10fache Böenbelastung der Erdbeschleunigung festgestellt, ein Forschungs-Segelflugzeug des Projektes wurde regelrecht im Rotor zerlegt. Heute sind diese Vorgänge und ihr Vorkommen bekannt, vor allem die hohen Gebirgszonen sind bei Strahlstromlagen, d.h. Starkwindlagen zu meiden und werden umflogen. So gibt es noch viele Beispiele von wertvollen Erkenntnissen über die Atmosphäre, die der Segelflug ,sei es durch Forschungsarbeiten, sei es aber auch anläßlich der Ausübung des Sportes beigetragen hat.
Wo aber geht die Reise des Segelflugs nun hin? Wir können Streckenflüge bis nahezu 2000 km Länge durchführen, wir können bei Streckenflügen mit mittlere Geschwindigkeiten bis ca.200 km/h überlandfliegen, wir können mit Segelflugzeugen Höhen von ca. 15 km NN erreichen. Natürlich sind Werte dieser Art Grenzwerte, die uns Spitzenpiloten vorgegeben haben. Sie können sich aber weiterhin nur um wenige Prozente nach oben verändern, denn Im Dreieck der 3 M's, Mensch, Maschine, Meteorologie sind die beiden letzteren, Maschine, d.h. Segelflugzeug, und Meteorologie, d.h. die Vorgänge in der Atmosphäre, in ihren Möglichkeiten nahezu ausgeschöpft. Neue Quantensprünge, wie etwa der Übergang vom normalen Profil zum Laminarprofil oder von der Holz- und Metallbauweise zur Kunststoffbauweise, oder etwa die Entdeckung neuer Aufwindarten in der Atmosphäre sind kaum oder nicht mehr zu erwarten. Im Dreieck übrig bleibt der Mensch! Wie geht es mit ihm weiter? Kann man von ihm Weiterentwicklung erwarten?, Er will ja nach wie vor Spaß an seinem Sport haben und Erfüllung finden und diesen Sport in möglichst großer Freiheit ausüben? Ja, der Mensch kann, er muß etwas tun! Er muß zunächst das Erworbene bewahren! Denn sein Umfeld verändert sich laufend: die Fluggebiete werden eingeschränkt, die Flughöhen werden begrenzt, die möglichen Flugzeiten des Tages erhalten Verbotsfenster, an Nachwuchssegelfliegern haben wir Not und das gilt nicht nur bei uns, sondern auch international für die meisten der segelflugtreibenden Ländern. Das Angebot an Freizeit- und Sportmöglichkeiten ist einfach zu groß und zu vielfältig und der Ausbildungsweg zum fertigen Segelflieger ist lang. D.h. wir müssen Kontakt suchen zu unserem Umfeld, wir müssen es einbeziehen und zeigen, daß Segelflug kein elitärer Sport ist, sondern daß Segelflugsprt von ganz normalen Menschen betrieben wird, die u.a.das Glück und den Vorzug haben, die Atmosphäre mit ihren meteorologischen Vorgängen und auch Herausforderungen der dritten Dimension kennenzulernen und zu erleben. Die Sicht aus dieser Dimension erlaubt aber auch einen geschärften Blick auf die Erdoberfläche, auf unser Umfeld mit einer vielfältigen und schönen Kulturlandschaft, wo auch neben den Menschen die Pflanzen- und Tierwelt ein Naturrecht und Lebensrecht besitzen. In dieses Umfeld muß sich der Luftsport einpassen, eine Verantwortung, die jetzt vermehrt dem Menschen in unserem Dreieck Mensch, Maschine, Meteorologie zufällt. Hier können wir stolz sein, daß insbesondere in Deutschland durch die Umsicht umweltbewußter Luftsportler diese Aufgabe schon vor mehr als 10 Jahren erkannt und angegangen wurde, daß Flugplätze schon früh nach umwelt- und naturgerechten Gesichtspunkten ausgestattet wurden, daß es Naturschutzwarte in den Vereinen gibt, daß die Geländeplanungen mit den Behörden und nicht im Kampf gegen sie und gegen Anlieger vorgenommen werden. Der Deutsche Aeroclub als unser oberstes deutsches Luftsportgremium hat unter großer Anerkennung durch die "Federation Aeronautique Internationale (FAI)", das oberste internationale Luftsportgremium, zum ersten Mal einen "Verhaltenskodex der Luftsportler für umwelt und naturbewußten Luftsport" veröffentlicht und zwar für alle ausübenden Luftsportarten. Die FAI hat bestätigt, daß Deutschland gegenwärtig das führende Land bei den Bemühungen um die Einbeziehung und Behandlung umweltrelevanter Pobleme des Luftsportes ist. Sie hat selbst in relativ später Einsicht vor 2 Jahren zu den verschiedenen Luftsportkommissionen jetzt eine eigene Umweltkommission eingerichtet und stützt sich in vielen Teilen auf die Vorarbeit des DAeC. An dieser Stelle möchte ich eine, wie ich glaube, berechtigte Mahnung anbringen: Wer auch immer als Beitragszahler des DAeC die Berechtigung von Mitteln für eine hauptamtliche Stelle eines Umweltbeauftragten hinterfrägt oder anzweifelt, der möchte sich erst einmal allgemein informieren, dann einen Lehrgang für Naturschutzwarte absolvieren und dann einige Zeit mit dem Umweltschutzbeauftragten des DAeC unterwegs sein, um die Fülle der angelaufenen Probleme zu realisieren, die es zu bearbeiten und zu lösen gilt. Vielleicht ist gerade der Platz, auf dem wir jetzt stehen , die Wasserkuppe, und die Region ringsum ein gutes Beispiel der Wirksamkeit koordinierten Bemühens, wo der Luftsport mit am Entscheidungstisch sitzt. Im "Biosphärenreservat Rhön"-Projekt haben wir ein gutes Beispiel, wie gemeinsam eine tragbare, von allen akzeptable Struktur gefunden werden kann. Nicht nur "Rotes Moor" und "Schwarzes Moor", sondern auch die freie Oberfläche der Wasserkuppe hätte ja zum europäischen, absoluten Schutzgebiet erklärt werden können. Es gilt also, Gemeinsames zu bewahren! Das gelingt aber nur, wenn wir unsere Einsichten und Ergebnisse an unsere Nachfolger, die jungen Segelflieger und Luftsportler weiterzugeben vermögen. Das kostet Mühe, Überzeugungskraft, beispielgebendes Vor- und Miteinanderleben seitens der älteren Generation, Interesse, Aufgeschlossensein, Lernen seitens der jüngeren Generation. Um sie müssen wir werben! Hier auf der Wasserkuppe, inmitten des Biosphärenreservats Rhön, wäre die richtige Schule mit all den offenen Klassenzimmern zur Natur und mit dem direkten Zugang zur freien Atmosphäre, unserer geliebten dritten Dimension! Ich glaube, Otto Lilienthal würde voll zustimmen und hätte es nicht anders gemacht! Zum Schluß noch eine kleine, visionäre Einlassung : Er, Lilienthal, hat auch schon eine Außenstelle im Voralpenraum eingerichtet. Dort wo der ehemalige Militärflugplatz Neubiberg aufgelöst wurde, ist von einem seiner Jünger das "Otto Lilienthal-Solarflugzentrum" geplant, zu dem nur ein Streifen Landebahn als Segelflugplatz für Starts und Landungen gehören müßte, es sind bereits Hallen vorhanden und es wird nur mit Winde gestartet. Denken wir an die schon im Bau befindliche Solarwinde und die nächste Generation von Solarsegelflugzeugen nach "icare 2", die natürlich dann Doppelsitzer sein werden, dann kann es kaum eine umweltgerechtere Sportart als den Segelflug geben. Die Vision, daß dann die Jugend der Stadt teilweise wieder zurückgewonnen werden kann, ist kein leerer Traum: direkt vor den Toren findet sie den Flugplatz, um dort starten und mitfliegen zu können, oder auch selbst fliegen lernen zu können. Mit Solarenergie d.h. der Thermik selbst oder mit dem elektromotorgetriebenen Vorschub der Luftschraube über der Oktoberfestwiese oder dem neuen Messegelände des früheren Flughafens München-Riem zu kreisen, könnte in einigen Jahren Wirklichkeit sein! Hoffen wir, daß es bald sein wird.
Soviel von mir als "metorologische und Umweltreferenz" an unser großes Vorbild Otto Lilienthal zum heutigen Gedenktag! Zur Kulturepoche, die er eingeleitet hat, gehört zum nicht geringen Teil die dritte Dimension, die uns heute zum größten Teil erschlossene Atmosphäre.
Wasserkuppe, Rhön, am 9.August 1998. |