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Rettet das schönste Stadion der Welt!

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Die Quadratur der Schüssel

Ein stählernes Gebiß

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Die Quadratur der Schüssel

Warum das Münchner Olympiastadion nicht in eine Fußball-Arena umgebaut werden kann

(Erschienen im SZ-Feuilleton vom 24. 11. 1998  Copyright: Gottfried Knapp)

Der Weg auf den Schuttberg lohnt sich. Der Spaziergang wird zur Lehrstunde. Je mehr man sich dem Gipfel nähert, desto deutlicher wird es: Das Olympiagelände ist eine Insel in der Stadt, ein organisch weicher Fremdkörper in einem Kontinuum harter Kuben und Kanten. Man muß nur den Blick schweifen lassen. Was immer sich im Dunst bemerkbar macht, ergeht sich in Geraden und rechten Winkeln. Auch die Hochhäuser des Olympischen Dorfs machen da keine Ausnahme. Sie zeigen zwar nicht überall senkrechte Wände, genehmigen sich auf der Sonnenseite sanfte Schrägen und im Grundriß Abweichungen vom rechten Winkel, doch ihre Formen entstammen dem gleichen Baukasten wie alle andern Elemente in der Stadtlandschaft.

Auf dem Olympiagelände aber muß ein Meteorit eingeschlagen haben, eine weiche Masse, die alles Feste, Eckige unter sich begrub, wie ein Kuhfladen sich in die Klötzchenwelt der Stadt legte. Sanft wölben sich Hügel in die Höhe; ein See schwingt in harmonischen Kurven durch die organische Landschaft. Aus den grünen Flanken aber wächst eine silbrig glänzende Haut empor, eine transparente Membran, die von schrägen Pfählen in die Höhe gehoben, in die Breite gezogen und über alles Gebaute gebreitet wird, also den sanften Schwung der hinmodellierten Bodenskulptur im Luftraum weiterbefördert.

Daß unter diesem leichten gläsernen Gitternetz die großen Olympia-Sportbauten versteckt sind, gehört zu den Wundern, die nicht nur im Olympiajahr 1972 wirksam waren. Überall, wo sonst noch „Spiele“ stattfanden, ist sehr viel massiver gebaut worden als in München; doch nur in München, wo die drei großen Hallen in eine gleitende Kunst-Landschaft eingesenkt wurden, haben sie bis heute ihre Funktion behalten.

Nach wie vor ist das Münchner Olympiastadion mit seiner hoch ausholenden, gekurvten Betonschüssel auf der einen Seite und der ins Grüne sich öffnenden Gegenseite das schönste Leichtathletikstadion der Welt – die künstlerisch überzeugendste Verkörperung der olympischen Idee. Doch in den letzten Monaten ist dieser gebaute Traum der Schwerelosigkeit von ein paar Herren, die mit Fußball Geld verdienen, als unseliges Relikt der Vergangenheit, als völlig mißlungener Sportbau beschimpft worden. Und plötzlich zerbricht sich die Öffentlichkeit den Kopf, wie sie mit 500 Millionen Mark dafür sorgen kann, daß ein paar hundert Schlipsträger im Trockenen sitzen, wenn sie samstags ihren Helden drunten auf dem Rasen zuprosten.

Selbst der führende Architekt des olympischen Gesamtkunstwerks hat sich durch die allgemeine Aufregung zu peinlichen Kompromißvorschlägen hinreißen lassen, obwohl er genau weiß, daß sein Leichtathletikstadion mit den Bedürfnissen des heutigen Fußballs nicht kompatibel ist. Das flutende Raumkunstwerk des Stadions ist als offenes Oval um die 400-Meter-Aschenbahn herummodelliert worden. Daß es als Fußball-Arena zwangsläufig Mängel hat, weiß man seit 26 Jahren; doch jetzt plötzlich glaubt man mit ein paar Eingriffen eine wetterfeste Fan-Burg zimmern zu können, wie sie in einigen internationalen Fußball-Zentren schon steht.

Man versucht sich also wieder einmal – und diesmal sogar ganz wörtlich – an der Quadratur des Kreises: Wie paßt man ein flaches Rechteck so in eine viel größere Schüssel hinein, daß die Ränder sich lückenlos überlappen? In einem zeitgemäßen Fußball-Tempel steigen die Ränge direkt an den vier Außenlinien steil in die Höhe; in den Olympiastadien der Welt aber steigen sie in einem weiten Rund gemächlich an. Um die Zuschauer näher ans Spiel heranzuholen, will man in Berlin nun das Fußballfeld um drei Meter absenken, die Ränge über die Aschenbahn nach unten ziehen und vollständig überdachen, was bei der monumentalen Symmetrie der Nazi-Kult-Arena keine technischen Probleme bereitet.

Günter Behnisch glaubt in München die Großfigur seines Olympiazelts retten und gleichzeitig die recht unterschiedlichen Wünsche der großen Fußballgemeinde erfüllen zu können, wenn er auf der unüberdachten Seite des Stadions ein Stück des aufgehäuften Hügels abhobelt, einen auf Stelzen balancierenden Logenbau über die verbliebenen Sitzreihen in Richtung Spielfeld schiebt und das Ganze mit einer tiefhängenden Glashaut überspannt. Doch so elegant der hochgestemmte, leicht kurvierte Aufsatz auf der Stadionschüssel auch sein mag, so katastrophal wäre sein streng tektonischer Aufbau für die naturhaft flutende Olympialandschaft. Wie ein Riesenmesser würde die mehrgeschossige horizontale Masse den Hügel kappen, das organische Auf und Ab durchschneiden.

Funktional wäre freilich wenig gewonnen. Durch die Absenkung des Fußballfelds und die nachrückenden Sitzreihen kämen nur wenige der Fans, die sich in den Kurven sammeln, dem Geschehen wirklich näher. Die von den Vereinen heftig hofierten „Vips“ aber, die für einen Logenplatz ein kleines Vermögen ausgeben, bekämen zwar eine architektonisch eindrucksvolle Panoramakanzel hoch über der Arena, hätten aber kaum physischen Kontakt zum Spiel. Um sie und die künftigen Aktionäre bei Laune zu halten, verlangen die Vereine zusätzlich noch ganze Fluchten von Clubräumen, Fan-Shops und Vereins-Restaurants.

Behnisch hat in seinem Kompromißvorschlag all diese Funktionen pauschal in den Hügel gepackt, in den das Stadion eingebettet ist. Doch dürfte es ziemlich unwahrscheinlich sein, daß Leute, die bereit sind, viel Geld beim Fußball zu lassen, sich mit einem Maulwurfs-Dasein in unterirdischen Gängen zufrieden geben. Wenn also das Olympiastadion perfekt durchkommerzialisiert wird, dann muß der Hügel, der die Mitte des olympischen Festgeländes bildet, großenteils abgetragen werden, dann wird ein Baukunstwerk, das beste Chancen hat, in das Weltkulturerbe aufgenommen zu werden, gewaltsam zerstört.

Die Fußballvereine aber handeln sich ein Stadion ein, das den leuchtenden Charme der frühen Jahre verloren hat, aber als Kultstätte dennoch nur eingeschränkt tauglich ist. Regenschwaden und Windböen werden wie bisher unter dem Zeltdach durch die Sitzreihen fegen. Die olympische Ur-Disziplin aber, die Leichtathletik, wird in ihrem eigenen Haus nicht mehr antreten können. Sind die fundamentalen Mängel des teuer ausgebauten Stadions erst einmal bekannt, werden sich die Fußball-Manager kaum mehr vom Bau einer eigenen Arena abhalten lassen. Das Olympiastadion wird bei der geplanten kommerziellen Umrüstung also so verändert, daß es für keine Sportart mehr richtig zu gebrauchen, als Denkmal aber verloren ist.

Darum haben alle Diskussionen, die sich in diese Richtung bewegen, etwas Gespenstisches. Das Olympiastadion wird nie ein gutes Fußballstadion werden, aber es ist eines der besten Leichtathletik-Stadien. Es ist absurd, daß die Leichtathleten hier überhaupt nie gefragt wurden. Wenn die Münchner Fußballvereine in dem kapitalistischen Gerangel der internationalen Spitzenclubs mithalten wollen, brauchen sie ein eigenes Haus, brauchen sie einen Ort, der ähnlich gut erschlossen und ähnlich gut gegen die Umgebung abgeschirmt ist wie das Olympiagelände. Darum die Frage: Warum sind die riesigen Parkflächen hinter dem Olympiastadion, in der großen Schleife des Mittleren Rings, nie als Baugrund untersucht worden? Und warum wird das Stadion an der Grünwalder Straße, das bei weniger prominenten Begegnungen immer ausgereicht hat, nicht zeitgemäß ausgebaut?

Die Vertreter der Olympiapark-Gesellschaft behaupten bei jeder Gelegenheit, daß ihr Stadion sofort als „Ruine“ zusammenfällt, wenn die großen Münchner Fußball-Ereignisse nicht mehr unter ihrem Zelt stattfinden. Doch der Wert des Olympiaparks bemißt sich nicht nach den Erfolgszahlen dieses halbprivaten Wirtschaftsunternehmens. Ja man könnte behaupten: Je weniger Kommerz- Rummel den Park erreicht, desto wertvoller wird er für die Bevölkerung. Längst spielt die künstliche Landschaft um den Olympiaberg im grünflächenarmen Münchner Norden eine zentrale Rolle. Niemand käme auf die Idee, am Nymphenburger Park oder am Englischen Garten herumzubasteln, nur weil diese historischen Anlagen nicht ständig Gewinn abwerfen. Unter den vielen Millionen Besuchern des Freizeitgeländes sind die zahlenden Fußball-Fans nur eine winzige Minderheit. Man sollte also in der Stadt endlich begreifen, daß der „Olympiapark“ nicht ein schlechtgehendes Unternehmen, sondern ein äußerst erfolgreicher Erholungsraum ist, der seine Bedeutung täglich selbst unter Beweis stellt.

Zu den haarsträubenden Irrtümern, die in den jüngsten Diskussionen zu hören waren, gehört auch die Meinung, daß das Olympiagelände eine rein münchnerische Angelegenheit sei. Selbst Behnisch scheint von der nationalen Bedeutung seines heiteren Spiele-Forums nicht viel begriffen zu haben. Die Olympia-Architektur ist aber nicht nur im Münchner Stadtgebiet völlig einzigartig; sie gehört zu den wenigen großräumlichen Kreationen der Welt, die bis heute ihre Lebendigkeit bewahrt haben. Wenn irgendwann einmal die wichtigsten Bauten unseres Jahrhunderts ausgezeichnet werden, hat die Bundesrepublik mit der Münchner Olympialandschaft gute Chancen.

Es wäre also ein Akt der Selbstverstümmelung, wenn die Stadt München, die mit dem Schub der Olympiade alle andern deutschen Städte beim Aufbau überholt hat, ihr weltweit bewundertes Symbol den temporären Interessen eines lokalen Fußballvereins opfern würde.

Im Grunde wissen alle Betroffenen – die Fußball-Freunde, die Leichtathletik-Kenner, die Architekten, die Denkmalschützer und die Parkbenutzer –, daß der Umbau dem Stadion nur Schaden zufügt. Warum also reden wir überhaupt noch davon?

GOTTFRIED KNAPP

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